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Aus der Zeitschriftrecht 1/2024 | S. 62–68Es folgt Seite №62

Die erste Tagung des Schweizerischen Nachwuchsforums Privatrecht (SNAP)

22. September 2023, Universität Basel

Das Schweizerische Nachwuchsforum Privatrecht (SNAP) bezweckt den wissenschaftlichen Austausch und die Vernetzung zwischen Nachwuchsforschenden im Privatrecht mit Bezug zur Schweiz. Herzstück der Initiative bildet eine jährliche Tagung, an welcher Nachwuchsforschende ihre aktuelle Forschung präsentieren und sich über soft skills austauschen können. In diesem Beitrag berichtet der Tagungsleiter von der ersten Tagung vom 22. September 2023 in Basel.

I. Einleitung

Ein Forum, das es Nachwuchsforschenden aus dem gesamten Privatrecht ermöglicht, ihre aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse zu diskutieren und sich untereinander zu vernetzen, fehlte in der Schweiz lange Zeit. Das Schweizerische Nachwuchsforum Privatrecht (SNAP) möchte dies ändern. Am 22. September 2023 fand an der Universität Basel die erste Tagung des SNAP mit 30 Teilnehmenden statt. Dieser Beitrag stellt den Hintergrund und die Zielsetzung des SNAP vor,1 fasst die Erkenntnisse der ersten Tagung zusammen2 und wirft einen Blick in die Zukunft des SNAP.3

II. Hintergrund und Zielsetzung

1. Kontext

Forschung und Innovation leben vom Diskurs – von der Formulierung von Ideen und Thesen, der kritischen Diskussion der eigenen Forschung mit anderen Forschenden, von der gemeinsamen Entwicklung von Neuem. Diese Überzeugung bildet gleichsam das Leitmotiv des SNAP.

Bereits seit einiger Zeit bestehen im Ausland erfolgreiche Plattformen, deren Ziel der fachliche Austausch und die Vernetzung von Nachwuchswissenschaftler/innen ist.4 Auch in der Schweiz bietet das «Schweizerische Nachwuchsforum Öffentliches Recht» («SNöR») eine «Tagung, in deren Zentrum die Vorstellung und Diskussion wissenschaftlicher Projekte stehen».5 In Teilgebieten des Schweizerischen Privatrechts sind in den letzten Jahren ebenfalls Initiativen entstanden, so z.B. im Gesellschaftsrecht.6

2. Zielsetzung des SNAP

Vor diesem Hintergrund werden mit dem SNAP vier Ziele verfolgt.

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a) Diskurs über work in progress auf peer-to-peer-Ebene

Neue Forschungsthemen zu durchdringen, Thesen zu formulieren und Konzepte zu entwickeln, kann faszinierend sein. Mit Unsicherheiten verbunden ist es jedoch ebenfalls: Wie weiss ich, dass die (vermeintlich) noch nie behandelte Frage nicht schon längst gelöst ist, wenn auch mit einem anderen Ansatz? Was gibt mir die Sicherheit, dass die Argumentation dogmatisch stringent und für die Leserschaft verständlich ist? Das SNAP will daher eine Plattform bieten, welche die Diskussion über die laufende Forschung (z.B. Qualifikationsschriften oder geplante Aufsätze) ermöglicht. Es soll ein Ort sein, um work in progress vorzustellen, kritisches Feedback zu erhalten und allenfalls sogar neue Querbezüge herzustellen.

Dieser Austausch ist für alle Teilnehmenden inspirierend: Welche Forschungsthemen werden von anderen Nachwuchsforschenden bearbeitet? Welche neuen Trends und Entwicklungen existieren?

b) Weitergabe von soft skills

«Wenn ich das zu Beginn meiner Dissertation gewusst hätte…» – diesen Satz vernahm der Autor wiederholt von fortgeschrittenen Nachwuchsforschenden. Zwar lässt sich nicht jede Kurskorrektur, jeder Umweg und jeder Fehler vermeiden. Dennoch erscheint es bedauerlich, wenn der Erfahrungsschatz, den Doktorierende und Habilitierende während des Verfassens ihrer Qualifikationsarbeiten akkumulieren, nicht weitergegeben und für zukünftige Generationen nutzbar gemacht wird. Was sind sinnvolle Methoden, um sich die Zeit für Lehrstuhlarbeit, das eigene Qualifikationsvorhaben sowie allfällige weitere Engagements und Projekte sinnvoll einzuteilen? Sollten die ersten Wochen oder Monate eines Projektes ausschliesslich einem minutiösen Einlesen und Planen dienen, oder ist es zielführender, bereits am ersten Tag mit der Niederschrift zu beginnen? Im Rahmen von Panels, Podiumsdiskussionen, Referaten und des informellen Dialoges will das SNAP die Weitergabe von Erfahrungen und Reflexion der eigenen Arbeitstechnik zu ermöglichen.

c) Vernetzung von Nachwuchsforschenden im Privatrecht

Eng verbunden mit der ersten und zweiten Zielsetzung ist das dritte Anliegen des SNAP, die Vernetzung von Nachwuchsforschenden im Privatrecht. Der Austausch mit anderen passionierten Nachwuchsforschenden kann eine immense fachliche und persönliche Bereicherung sein und eine Grundlage für spannende Forschungskooperationen bilden. Die eigene Erfahrung zeigt, wie wertvoll es ist, einen einfachen Zugang zu anderen Nachwuchsforschenden im In- und Ausland zu haben, diese Personen bei Fragen konsultieren zu können und umgekehrt bei Fragen zur Verfügung zu stehen. Das Wissen darum, wer zu welchem Thema forscht, wer wann an welcher Institution einen Forschungsaufenthalt absolviert hat, wer mit welcher Methode vertraut ist und wer sich wofür engagiert, hilft dabei, bei Fragen schnell die richtige Person zu kontaktieren.

d) Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis

Die vierte Zielsetzung des SNAP liegt in der Förderung des Austausches zwischen Wissenschaft und Praxis. Dies ist von der Überzeugung getragen, dass Wissenschaft und Praxis keine sich gegenseitig ausschliessenden Gebiete darstellen, sondern von einer engen Kollaboration profitieren können.

Die Praxis kann der Wissenschaft Impulse und Inspiration geben für Fragen, die der Lösung bedürfen. Probleme des rechtlichen Alltages bilden letztlich den Massstab dafür, ob die Rechtsordnung befriedigende, kohärente Antworten bietet. Umgekehrt ist die Wissenschaft jener Ort, an dem juristische Fragestellungen unabhängig von den Partikularitäten aktueller Fälle bearbeitet werden können. Dadurch wird neues Grundlagenwissen generiert, das bei der Lösung zukünftiger Probleme helfen kann. Zudem ist es die kritische Auseinandersetzung mit Grundsatzfragen, die es erlaubt, das Recht als kohärentes Gesamtsystem zu denken – ein Anliegen, das trotz der zunehmenden Spezialisierung nach wie vor essenziell erscheint.7

Ferner möchte das SNAP die Schnittstelle von Wissenschaft und Praxis auch zu einem zentralen Anliegen machen, weil es nicht wenige Teilnehmende nach ihrer Dissertation und allenfalls Habilitation in die Praxis ziehen wird.

Aus der Zeitschriftrecht 1/2024 | S. 62–68 Es folgt Seite № 64Fragen an der Schnittstelle von Wissenschaft und Praxis, die Gegenstand des SNAP bilden können, sind daher beispielsweise: Welche Gedanken sollte ich mir machen, wenn ich ein Dissertationsthema wähle und eine Karriere in der Wissenschaft oder in der Praxis anstrebe? Inwiefern bildet Praxisrelevanz ein Qualitätsmerkmal für juristische Forschung?

3. Zielpublikum

Das SNAP versteht den Begriff des «Privatrechts» weit. Er umfasst namentlich das Kernprivatrecht, das Zivilverfahrensrecht, das Handels- und Wirtschaftsrecht, das Immaterialgüterrecht sowie das internationale Privatrecht. Auch Forschende an Schnittstellen zu anderen Rechtsgebieten und in Querschnittsmaterien (z.B. Vergaberecht, Finanzmarktrecht, Sozialversicherungsrecht, Wettbewerbsrecht) sind willkommen. Ebenfalls angesprochen sind Nachwuchsforschende im Bereich der Grundlagen des Rechts (z.B. Rechtsgeschichte, Rechtsphilosophie, empirische Rechtswissenschaften) mit einer privatrechtlichen Orientierung.

Das SNAP steht immer offen für Nachwuchsforschende aus anderen Disziplinen. Bereits bei der ersten Durchführung durften wir einzelne Nachwuchsforschende aus dem öffentlichen Recht und Strafrecht begrüssen und hoffen, den inspirierenden Dialog fortsetzen zu können.

Geografisch gesehen möchte das SNAP primär Nachwuchsforschende aus der gesamten Schweiz ansprechen. Teilnehmende aus dem Ausland sind jedoch ebenfalls willkommen.

Im Sinne eines engen Austausches mit der Praxis freut sich das SNAP auch über die Teilnahme von Personen aus der Praxis, die eine Passion für die Durchdringung wissenschaftlicher Fragestellungen hegen.

4. Grundzüge des Konzeptes

a) Jährliche Tagung

Kernelement des SNAP ist eine jährliche Tagung, die jährlich wechselnd an unterschiedlichen Schweizer Universitäten durchgeführt wird. Diese bietet einerseits Raum für wissenschaftliche Referate von Nachwuchsforschenden, in denen diese ihre aktuelle Forschung («work in progress») präsentieren. Andererseits ermöglichen Beiträge wie Panels oder Workshops einen Austausch über soft skills sowie einen Dialog von Wissenschaft und Praxis.

b) Netzwerk

Ganzjährig versteht sich das SNAP als Netzwerk von Personen mit einer gemeinsamen Passion für privatrechtliche Themen. Aktuelle Informationen wie einschlägige Stellenausschreibungen oder Hinweise auf andere Nachwuchstagungen werden u.a. über eine Mailing-Liste und Social Media zirkuliert.

III. Erste Tagung8

1. Überblick

Die erste Tagung fand am 22. September 2023 von 08.30 Uhr bis 19.15 Uhr an der Juristischen Fakultät der Universität Basel statt.

Erfreulicherweise nahmen bereits an der ersten Tagung 30 Personen teil – angesichts der Neuheit des SNAP eine beachtliche Zahl, die zuversichtlich für die Zukunft des SNAP stimmt.

Im Rahmen der ersten Tagung gab es zwei Formate für Beiträge: Im Rahmen von sieben 35-minütigen Referaten9 präsentierten Nachwuchsforschende aktuelles work in progress (z.B. Dissertation, Habilitation, Aufsätze). Zwei Panels von je 50 Minuten erlaubten den Austausch über soft skills und methodische Fragen. Die Tagung wurde nach dem Prinzip «chacun/e sa langue» auf Deutsch, Französisch und Englisch abgehalten.10

Dank grosszügiger Beiträge der Juristischen Fakultät der Universität Basel sowie der Anwaltskanzlei VISCHER AG (Basel) war es möglich, die Tagung für alle Teilnehmenden kostenlos durchzuführen.

2. Kurzbericht11 zu den einzelnen Programmpunkten

Nach Eröffnung der Tagung hielt Dr. iur. Raphael Dummermuth12 das erste Referat zum Thema Aus der Zeitschriftrecht 1/2024 | S. 62–68 Es folgt Seite № 65«Methodennormen in europäischen Kodifikationen: Notwendige Regelung der Normgeltung oder ‹qualifizierter Unsinn›?». Darin präsentierte er ausgewählte Erkenntnisse im Zusammenhang mit seinem inzwischen erfolgreich abgeschlossenen Dissertationsprojekt.13 Methodennormen sind gesetzgeberische Vorgaben betreffend die Auslegung von Rechtsnormen, wie sie sich z.B. in Art. 31 VRK14, Protokoll 2 zum LugÜ15 oder Art. 1 ZGB16 finden. In seinem Referat erläuterte er die Geschichte von Methodennormen vom klassischen römischen Recht bis in die heutige Zeit. Er thematisierte die Zwecke, denen Methodennormen dienen, wie sich Methodennormen zur Gewaltenteilung verhalten und ob sie effektiv Auswirkungen auf die Rechtsanwendung zeitigen. Ein besonderes Augenmerk galt der Problematik der Selbstreferentialität von Methodennormen, d.h. dem Anspruch der Methodennorm, (auch) die Methode ihrer eigenen Auslegung zu regeln.

Dr. iur. William Barbey,17 der zu Formen geteilten Eigentums im internationalen Privatrecht und dem intertemporalen Recht promoviert hatte,18 referierte zum Thema «Le droit privé suisse peut-il assimiler une institution inédite dans son système? – L’exemple des trusts et de l’avant-projet du Conseil fédéral». In einem ersten Schritt zeigte er auf, wie das subjektive Recht («droit subjectif») zum zentralen Dreh- und Angelpunkt der Privatrechtsdogmatik in Jurisdiktionen des civil law wurde, während das common law vom objektiven Recht («droit objectif») (d. h. von der Abwesenheit des subjektiven Rechts) ausgeht. Im Rechtssystem von England und Wales, so der Referent, wird heute noch von einem Konzept von «interests» ausgegangen, ähnlich wie es im civil law bis vor der französischen Revolution («utilités») bestand. Er thematisierte verschiedene Modelle der Umsetzung (bzw. deren Versuch) von Trusts in Jurisdiktionen des civil law, so z.B. Frankreich oder Liechtenstein, sowie Québec als mixed jurisdiction, und zeigte auf, welche Probleme sich ergeben, wenn ein Trust in einer solchen Rechtsordnung eingeführt werden soll. Ein besonderes Augenmerk lag auf dem bundesrätlichen Vorentwurf zum Schweizer Trust vom 12. Januar 2022.19 Der Umstand, dass der Schweizerische Bundesrat nur wenige Tage vor der Tagung vom Projekt Abstand genommen hatte,20 verlieh dem Referat zusätzliche Aktualität.

Başak Yalman21 widmete sich «Artificial Intelligence and Product Liability in Europe». Ausgangspunkt bildete die Feststellung, dass die heute in der EU massgebliche Produktehaftungsrichtlinie von 198522, die auch das schweizerische PrHG von 199323 massgeblich prägte, Haftungsfragen im Zusammenhang mit künstlicher Intelligenz (KI) nur unzureichend zu erfassen vermag. Unklar ist bereits, inwiefern ein KI-Programm ein von der Produktehaftungsrichtlinie bzw. dem PrHG erfasstes Produkt oder eine nicht darunter zu subsumierende Dienstleistung darstellt. Der «black box effect», d.h. die trotz Bestrebungen zur Entwicklung von «explainable AI» häufig nach wie vor fehlende Möglichkeit, die Ursache einer Entscheidung eines KI-Systems nachzuvollziehen, führt zu Beweisschwierigkeiten. Thematisiert wurde ferner die policy-Frage nach dem richtigen Haftungssubjekt, ob z.B. Argumente wie «cheapest cost avoider», «cheapest insurer» oder «deep pocket» ausschlaggebend sein sollen. Die Referentin äusserte Skepsis gegenüber Aus der Zeitschriftrecht 1/2024 | S. 62–68 Es folgt Seite № 66dem Konzept einer «e-person», da dieses v.a. ein Instrument sein könnte, um Haftungsrisiken abzuwälzen. Die Referentin ging auf aktuelle Bestrebungen in der EU zur Schaffung eines adäquaten Rechtsrahmens ein, namentlich die Revision der Produktehaftungsrichtlinie24 sowie die Richtlinie über KI-Haftung25, und diskutierte die Stärken und Schwächen des vorgeschlagenen Rechtsrahmens.

Im Anschluss an die drei Referate des Morgens fand das erste Panel des Tages statt. Dr. iur. Raphael Dummermuth26 leitete eine Diskussion zum Thema «Mobilität während der Promotionszeit».27 Auf dem Panel diskutierten Elisa Stauffer28, Dr. iur. William Barbey29 und Christapor Yacoubian30. Der erste Teil des Panels widmete sich unterschiedlichen Formen der Mobilität. Von allen vier Panel-Teilnehmenden betont wurde der Wert von Kontakten zu Nachwuchsforschenden im Ausland, die allfällige rechtsvergleichende oder auch interdisziplinäre Teile gegenlesen können. Eine weitere Erkenntnis war, dass Forschungsaufenthalte in der Regel am meisten Gewinn bringen, wenn die eigene Forschung bereits einen gewissen Stand erreicht hat, sodass in der zur Verfügung stehenden Zeit gezielten Fragen nachgegangen werden kann. Der zweite Teil des Panels behandelte Fragen der Finanzierung von Auslandsaufenthalten.

Im Anschluss an das erste Panel fand ein von der Juristischen Fakultät der Universität Basel offeriertes gemeinsames Mittagessen statt, das die Gelegenheit zur Fortsetzung der fachlichen Diskussionen sowie zum persönlichen Kennenlernen bot.

Dr. iur. Tizian Troxler31 leitete mit seinem Vortrag «Ökonomische Erkenntnisse im Recht» das Nachmittagsprogramm ein. Zunächst zeigte er die Grundlagen der ökonomischen Analyse im Recht, wie sie in den 1970er-Jahren im angloamerikanischen Rechtskreis entwickelt worden waren, sowie deren Rezeption auf. Der Referent ging auf unterschiedliche Einsatzmöglichkeiten für ökonomische Erkenntnisse ein. Die positive ökonomische Analyse des Rechts befasst sich mit der empirischen Frage, welche Auswirkungen Rechtsnormen auf das Verhalten von Individuen haben. Weil die positive ökonomische Analyse keine normativen Forderungen an die Gestaltung des Rechts erhebt, bestehen keine Konflikte mit rechtlichen Grundwertungen. Die normative ökonomische Analyse hat hingegen einen präskriptiven Anspruch: Recht soll zumindest im Bereich des privaten Güter- und Leistungsaustausches nach wohlfahrtsökonomischen Effizienzkriterien gestaltet sein. Diese Zielsetzung kann zu Konflikten mit rechtlichen Grundwertungen führen. Davon ausgehend befasste sich der Referent mit den Möglichkeiten und Grenzen eines Einsatzes der ökonomischen Analyse des Rechts in Rechtsetzung und Rechtsanwendung. Ein besonderes Augenmerk galt dem Verhältnis zwischen ökonomischen Gesichtspunkten und dem klassischen Kanon der Methodenlehre.

Das Referat von Christophe Gösken32 mit dem Titel «The Private Use Exception in Copyright Law: An Analysis of Behaviour, Attitudes and Norms in European Consumers» beruhte auf dem empirischen Dissertationsprojekt, welches der Referent gegenwärtig am Center for Law & Economics der ETH Zürich verfasst. Dieses Projekt hinterfragt den Erfolg von 20 Jahren Politik gegen Online-Piraterie bei Verbrauchern in Frankreich, Deutschland, Italien und in der Schweiz. Im Rahmen einer Online-Umfrage ermittelt er die individuellen Präferenzen der Verbraucher und ihre sozialen Normen in Bezug auf die Ausnahme des Eigengebrauchs vom Urheberrecht (Art. 19 Abs. 1 lit. a URG33) und die Durchsetzungsverfahren gegen Online-Piraterie, die in den verschiedenen Ländern unterschiedlich sind. In seinem Referat berichtete er auch über seine Erfahrungen mit dem Wechsel von einem rein rechtswissenschaftlichen Studium hin zu einer empirisch orientierten Dissertation. Damit schloss er an das Referat seines Vorredners an, das bereits die Problematik adressiert hatte, dass der Gesetzgeber oft mit Blick auf eine intendierte Normwirkung legiferiert, es aber regelmässig an Untersuchungen fehlt, welche die effektive Normwirkung analysieren.

Jonathan Zeller34 hielt seinen Vortrag zum Thema «Die Stellung der Frau im Zürcher Erwerbsleben um 1900 – Die Arbeiterinnenschutzgesetzgebung des Kantons Zürich». Es beruhte auf dem Dissertationsprojekt des Referenten. Im ersten Teil Aus der Zeitschriftrecht 1/2024 | S. 62–68 Es folgt Seite № 67wurde auf die historischen Rahmenbedingungen des Zürcher Arbeitsrechts, insbesondere den sozialen, politischen und rechtlichen Kontext der Gesetzgebung, eingegangen. Der Referent zeigte auf, dass der Bund mit der Bundesverfassungsrevision von 1874 eine Kompetenzgrundlage (Art. 34 aBV 187435) für den Erlass von interventionistischen, arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften in Fabriken hatte und sodann das eidgenössische Fabrikgesetz von 187736 erliess. Der fabrikgesetzliche Anwendungsbereich beschränkte sich allerdings auf «fabrikmässige» Betriebe, während «nicht fabrikmässige» Kleinbetriebe unreguliert blieben. In der Folge erliessen zahlreiche Kantone eigene Schutzgesetze, die primär auf Frauen und Kinder in den Kleinbetrieben Anwendung fanden. Die Zürcher Regelungen waren für Schweizer Verhältnisse in mehrfacher Hinsicht fortschrittlich. Im Sinne eines Ausblicks zeigte der Referent die geplanten weiteren Schritte seiner Forschung auf, so namentlich eine Rechtsvergleichung sowie eine Analyse der Folgen der Gesetzgebung für die Kleinbetriebe im Kanton Zürich.

Fiona Zilian37 hielt den siebten und letzten Vortrag des Tages. Sie referierte über die aktuelle Thematik des Kindesunterhalts unter besonderer Berücksichtigung von Unterstützungspflichten von Stiefeltern gegenüber ihren Stiefkindern. Ausgangspunkt des Referats bildete das Spannungsfeld zwischen den in vielerlei Hinsicht vergleichbaren Lebenswirklichkeiten von Kern- und Fortsetzungsfamilien und ihrer unterschiedlichen rechtlichen Behandlung im Rahmen des Kindesunterhaltsrechts. Vor diesem Hintergrund beleuchtete sie Problemfelder und Wertungswidersprüche de lege lata und diskutierte deren mögliche Auflösung de lege ferenda.

Zum Schluss des Tages leitete Cyrill A.H. Chevalley38 ein Panel zum Thema «Diss. – und danach?». Es diskutierten Prof. Dr. iur. Alessia Dedual39, Dr. iur. Eva Bachofner40 und Dr. iur. Stefan Grieder41. Das Panel widmete sich vier Fragenkomplexen, nämlich (i) der Motivation der Referierenden zum Verfassen einer Dissertation, (ii) der Frage, welche Aktivitäten neben einer Dissertation Raum haben (sollen), (iii) dem berufsbegleitenden Promovieren sowie (iv) der Zeit nach der Dissertation. Den Teilnehmenden sei an dieser Stelle nochmals herzlich für das Teilen ihrer Erfahrungen gedankt.

Am anschliessenden Apéro riche konnten die Vernetzungsgespräche fortgesetzt werden.

3. Reflexion

Trotz der grossen Breite von Themen, die im Rahmen der ersten Tagung des SNAP behandelt wurden, lassen sich zwei übergreifende Themen identifizieren, die während der Referate immer wieder behandelt wurden.

a) Recht und Methode

Methodenfragen wurden in zahlreichen Referaten aufgegriffen. Dabei manifestierte sich ein Kontrast zwischen klassischen Ansätzen, wie sie in Art. 1 ZGB kodifiziert sind, sowie neuen Ansätzen, namentlich dem Einsatz ökonomischer und empirischer Argumente. Ebenfalls thematisiert wurde die Frage, inwiefern rechtshistorische Erkenntnisse bei der Lösung aktueller rechtlicher Herausforderungen beizuziehen sind. Ferner scheint der Einbezug rechtsvergleichender Erkenntnisse, sei es in einem Teil einer Dissertation oder über das gesamte Werk hinweg, sich zunehmender Popularität zu erfreuen.

Wiederholt aufgegriffen wurde auch die Frage der Grenze verschiedener Methoden. Welchen Erkenntniswert hat die Feststellung, dass die Mehrheit der untersuchten Rechtsordnungen eine Frage auf eine bestimmte Weise löst? Inwiefern ist es erforderlich, Behauptungen zur vermuteten Effizienz einer Norm empirisch zu untersuchen? Wie viel Vorwissen bedarf es zur Durchführung rechtsvergleichender, empirischer oder rechtsökonomischer Studien, um sicher zu sein, dass das Ergebnis wissenschaftlichen Anforderungen genügt?

b) Wissenschaft und Praxis

Insbesondere im zweiten Panel des Tages zeigte sich die enge Verbindung von Wissenschaft und Praxis. Einerseits liefert die Wissenschaft die Grundlage für die Lösung praktischer Probleme; andererseits ist es aber auch die Praxis, die der Wissenschaft neue Inspiration für mögliche Untersuchungsgegenstände liefern kann. Die Rechtswissenschaft befasst sich mit Phänomenen in einer Gesellschaft, die sich konstant weiterentwickelt. Will das Recht seine Steuerungsfunktion behalten, so muss es sich ebenfalls weiterentwickeln, und mit ihm die Rechtswissenschaft. Ein enger Konnex zwischen Wissenschaft und Praxis erscheint Aus der Zeitschriftrecht 1/2024 | S. 62–68 Es folgt Seite № 68daher erstrebenswert. Es ergab sich denn auch, dass die Mehrzahl der Referierenden entweder bereits Praxiserfahrung gesammelt hat oder dies noch tun möchte.

Die Frage, wie sich ein adäquater Praxisbezug der Forschung herstellen lässt und inwiefern es gerechtfertigt sein kann, Rechtswissenschaft als «l’art pour l’art» zu betreiben, wird unzweifelhaft auch spannendes Diskussionspotenzial für zukünftige Tagungen bieten.

IV. Ausblick

Ziel der zweiten Tagung ist es, den mit der ersten Tagung begonnenen Erfolg fortzusetzen. Stattfinden wird sie am 13. September 2024 an der Universität Freiburg. Der Call for Abstracts sowie der Call for Participants folgen im Frühling 2024. Bei Fragen, Anregungen und Ideen freuen sich die Organisatoren42 jederzeit über eine Kontaktaufnahme.

  1. * Cyrill A.H. Chevalley, MLaw bil. (Basel/Genf), CTL (Genf), Advokat, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl von Prof. Dr. iur. Cordula Lötscher an der Universität Basel. Der Autor dankt Prof. Dr. iur. Cordula Lötscher, Advokatin, n.a. Bundesrichterin und Appellationsrichterin, Dr. iur. Raphael Dummermuth, Marga Burri, MLaw, Advokatin, sowie Patrick Plattner, MLaw, Advokat, für wertvolle Hinweise zu diesem Beitrag.
  2. 1 Siehe II infra.
  3. 2 Siehe III infra.
  4. 3 Siehe IV infra.
  5. 4 Siehe z.B. die Gesellschaft Junge Zivilrechtswissenschaft (https://www.jku.at/gesellschaft-junge-zivilrechtswissenschaft-gjz-ev/ [zuletzt 29. Januar 2024]), die Wirtschaftsprivatrechtliche Nachwuchtstagung (https://wpn.univie.ac.at/startseite/ [zuletzt 29. Januar 2024]), die IPR-Nachwuchstagung (https://jus.sfu.ac.at/de/forschung-fakultaet-fuer-rechtswissenschaften/tagung-inter nationales-privatrecht/ [zuletzt 29. Januar 2024]) oder die Junge Tagung Öffentliches Recht (https://www.juwiss.de/junge-tagung-oeffentliches-recht-2023/ [zuletzt 29. Januar 2024]).
  6. 5 https://ius.unibas.ch/de/event/details/snoer/ (zuletzt 29. Januar 2024).
  7. 6 Siehe z.B. die St. Galler Tagung für den wissenschaftlichen Nachwuchs im Gesellschaftsrecht vom 7.–8. September 2023 bzw. die Zürcher Tagung für den wissenschaftlichen Nachwuchs im Gesellschaftsrecht vom 5.–6. Februar 2021.
  8. 7 Vgl. hierzu bereits die pointierte Formulierung von Wiegand Wolfgang, Die Verhaltenspflichten. Ein Beitrag zur juristischen Zeitgeschichte, in: Stolleis Michael/Frommel Monika/Rückert Joachim/Schröder Rainer/Seelmann Kurt/Wiegand Wolfgang (Hrsg.), Die Bedeutung der Wörter – Studien zur europäischen Rechtsgeschichte, Festschrift für Sten Gagnér zum 70. Geburtstag, München 1991, S. 547 ff., S. 550 (betr. die Zunahme der Menge an Literatur sowie der zunehmenden Spezialisierung): «Das führt dazu, daß der Blick fürs Ganze zunehmend verloren geht und Sonderkonstruktionen und Lösungen entworfen werden, die mit anderen Teilbereichen und deren Entwicklung nicht mehr vereinbar sind.»
  9. 8 Ein Dank für wertvolle Ratschläge bei der Planung der ersten Tagung des SNAP gebührt Prof. Dr. iur. Cordula Lötscher, Patrick Plattner, MLaw, Advokat, und Dr. iur. Raphael Dummermuth. Bei der Durchführung der Tagung halfen Florian Jenny, BLaw, und Silas Schneider, BLaw, mit.
  10. 9 Vorgesehen war, dass davon ca. 20–25 Minuten auf den Vortrag, der Rest auf die Diskussion entfallen sollte.
  11. 10 In Ermangelung von Teilnehmenden aus den italienischsprachigen Regionen der Schweiz gab es keine Wortmeldungen auf Italienisch.
  12. 11 Der Autor dankt den Referierenden für das Lektorat der nachfolgenden, ihr Referat betreffenden Zusammenfassungen. Von der Publikation eines Tagungsbandes wurde jedenfalls für die erste Tagung abgesehen. Dadurch sollen die Referierenden die Möglichkeit haben, selbst zu determinieren, wann und in welcher Form sie ihr work in progress publizieren. Soweit bekannt, wird bei den nachfolgenden Kurzberichten jeweils auf bereits erfolgte oder geplante Publikationen der Referierenden hingewiesen.
  13. 12 Dr. iur. (Freiburg), z.Z. Anwaltspraktikant in Basel.
  14. 13 Raphael Dummermuth, Die Auslegung des Übereinkommens von Lugano: Inhalt und Schranken der methodischen Vorgaben zum LugÜ, Diss. Freiburg 2024, Zürich/Basel/Genf 2024.
  15. 14 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge, abgeschlossen in Wien am 23. Mai 1969, von der Bundesversammlung genehmigt am 15. Dezember 1989, Schweizerische Beitrittsurkunde hinterlegt am 7. Mai 1990, in Kraft getreten für die Schweiz am 6. Juni 1990 (SR 0.111).
  16. 15 Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Lugano-Übereinkommen), abgeschlossen in Lugano am 30. Oktober 2007, von der Bundesversammlung genehmigt am 11. Dezember 2009, Schweizerische Ratifikationsurkunde hinterlegt am 20. Oktober 2010, in Kraft getreten für die Schweiz am 1. Januar 2011 (SR 0.275.12).
  17. 16 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 (SR 210).
  18. 17 Dr. iur. (Lausanne), LL.M. (Genf), z.Z. Notariatspraktikant in Lausanne.
  19. 18 William Barbey, Des propriétés divisées, spécialement des trusts: Étude raisonnée des différents systèmes de droit des biens dans l’histoire européenne, de leur transformation moderne, ainsi que de leur confrontation actuelle dans le droit transitoire et international privé suisse, Diss. Lausanne 2022, Basel 2023.
  20. 19 Vgl. Vorentwurf Obligationenrecht (Einführung des Trusts) vom 12. Januar 2022 (https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/81554.pdf [zuletzt 29. Januar 2024]) und den Erläuternden Bericht zur Eröffnung des Vernehmlassungsverfahrens betreffend Einführung des Trusts: Änderung des Obligationenrechts vom 12. Januar 2022 (https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/81555.pdf [zuletzt 29. Januar 2024]); s.a. die entsprechende Medienmitteilung «Vorschläge für die Einführung eines Schweizer Trusts» vom 12. Januar 2022 (https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmit teilungen.msg-id-86746.html [zuletzt 29. Januar 2024]).
  21. 20 Vgl. Bericht über die Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens betreffend Änderung des Obligationenrechts (Einführung des Trusts) vom 15. September 2023 (https://www.bj.admin.ch/dam/bj/de/data/wirtschaft/gesetzgebung/trustrecht/ve-ber.pdf.down load.pdf/ve-ber-d.pdf [zuletzt 29. Januar 2024]); s.a. Medienmitteilung vom 15. September 2023 «Die Einführung eines Schweizer Trusts ist derzeit nicht mehrheitsfähig (https://www.bj.admin.ch/bj/de/home/aktuell/mm.msg-id-97717.html [zuletzt 29. Januar 2024]).
  22. 21 LL.M. (Edinburgh), Attorney-at-law (Istanbul), z.Z. Doktorandin an der Universität Zürich (Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Dr. hc. Yeşim M. Atamer, LL.M.).
  23. 22 Richtlinie 85/374/EWG des Rates vom 25. Juli 1985 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte, ABl. L 210 vom 7. August 1985, S. 29–33.
  24. 23 Bundesgesetz über die Produktehaftpflicht (Produktehaftpflichtgesetz, PrHG) vom 18. Juni 1993 (SR 221.112.944).
  25. 24 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Haftung für fehlerhafte Produkte, COM/2022/495 final, vom 28. September 2022.
  26. 25 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Anpassung der Vorschriften über außervertragliche zivilrechtliche Haftung an künstliche Intelligenz (Richtlinie über KI-Haftung), COM/2022/496 final, vom 28. September 2022.
  27. 26 Siehe Fn. 12.
  28. 27 Ein ausführlicher Bericht über die Erkenntnisse des Panels wird demnächst von zwei der Teilnehmenden (Raphael Dummermuth und Christapor Yacoubian) im Jusletter publiziert; das Erscheinungsdatum steht zum Zeitpunkt der Drucklegung dieses Berichts noch aus.
  29. 28 MLaw (Zürich), LL.M. (King’s College, London), z.Z. Doktorandin an der Universität Zürich (Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Ulrike Babusiaux).
  30. 29 Siehe Fn. 17.
  31. 30 MLaw (Basel), z.Z. Anwaltspraktikant in Basel.
  32. 31 Dr. iur. (Basel), LL.M. (Harvard), Advokat, Lehrbeauftragter und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Basel.
  33. 32 MLaw (Freiburg i.Üe.), z.Z. Doktorand und Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der ETH Zürich (D-GESS).
  34. 33 Bundesgesetz über das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz) vom 9. Oktober 1992 (SR 231.1).
  35. 34 MLaw (Zürich), z.Z. Doktorand an der Universität Zürich (Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Elisabetta Fiocchi Malaspina).
  36. 35 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 29. Mai 1874, AS 1 38.
  37. 36 Bundesgesetz betreffend die Arbeit in den Fabriken vom 23. März 1877, AS 3 241.
  38. 37 MLaw bil. (Basel/Genf), Advokatin, z.Z. Doktorandin und Assistentin an der Universität Zürich (Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Walter Boente).
  39. 38 MLaw bil. (Basel/Genf), CTL (Genf), Advokat, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl von Prof. Dr. iur. Cordula Lötscher an der Universität Basel.
  40. 39 Prof. Dr. iur., LL.M. (LSE), Rechtsanwältin, Professorin an der Universität Zürich.
  41. 40 Dr. iur., Advokatin, Gerichtspräsidentin am Zivilgericht Basel-Stadt.
  42. 41 Dr. iur., Advokat, Partner bei VISCHER AG (Basel).
  43. 42 Als Organisatoren fungieren Cyrill A.H. Chevalley (cyrill. chevalley@unibas.ch) sowie Dr. iur. Raphael Dummermuth (raphael.dummermuth@unifr.ch).