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Heft Nr. 2

31. Mai 2018

Grundsatzbeitrag
Flüchtlinge mit Behinderungen
S. 65
Die menschenrechtliche Auslegung des Flüchtlingsbegriffs fordert, dass internationale Menschenrechtsabkommen für die Auslegung von Art. 1A(2) der Flüchtlingskonvention herangezogen werden. Der vorliegende Beitrag untersucht im Zusammenhang mit der Verfolgung von Menschen mit Behinderungen, wie sich die Bestimmungen der UN-Behindertenrechtskonvention auf die Auslegung des Verfolgungsbegriffs auswirken, und stellt die Rechtsprechung aus dem angelsächsischen Raum zu einem behindertenspezifischen Verfolgungsbegriff vor.
Vertiefungsbeiträge
Wider die Boulevardisierung der Verbrechen - ein Denkanstoss zugunsten von Betroffenen
S. 76
Ein erheblicher Anteil der Boulevardberichterstattung befasst sich mit Kapitalverbrechen. Dabei steht meist nicht nur die Tat, sondern auch die mutmasslichen Beweggründe des Täters, seine persönliche und familiäre Situation sowie das persönliche Schicksal der Opfer im Vordergrund. Darunter leiden nicht selten auch die Angehörigen der Tatbeteiligten, deren Persönlichkeitsrechte durch die Sensationspresse gefährdet sind. Ziel des vorliegenden Beitrags ist es, dies kritisch zu hinterfragen, die betroffenen Aspekte einer derartigen Persönlichkeitsverletzung anzusprechen und Kriterien der im Rahmen einer Rechtfertigung vorzunehmenden Interessenabwägung zu benennen.
Der (unzulässige) Strafbefehl im abgekürzten Verfahren
S. 83
Vereinfachte und beschleunigte Verfahren haben in der Praxis immens an Bedeutung gewonnen und werden von vielen als eine Form der Ressourceneinsparung begrüsst. In jüngerer Zeit fragen kritische Stimmen jedoch nach den Grenzen einer an Verfahrensökonomie orientierten Strafrechtspflege. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, ob die StPO eine Kombination der besonderen Verfahren – Strafbefehls- und abgekürztes Verfahren – erlaubt. Insbesondere ist fraglich, ob ein abgekürztes Verfahren mit einem Strafbefehl abgeschlossen und damit ein ausgehandeltes Urteil der richterlichen Überprüfung entzogen werden darf. Diese Frage gewinnt mit Blick auf grosse Wirtschaftsstrafverfahren gegen Unternehmen an Aktualität. Der Aufsatz erläutert an einem praktischen Fall einer Absprache im Strafverfahren gegen ein Unternehmen die gesetzlichen Regelungen des abgekürzten Verfahrens sowie des Strafbefehls und die darin angelegten Absprachemöglichkeiten. Durch die anschliessende Gegenüberstellung der beiden Verfahrensarten kann das Vorgehen der Strafverfolgungsbehörden rechtlich gewürdigt, insbesondere der Vorwurf der Umgehung einer gerichtlichen Entscheidung überprüft werden.
Interessenabhängige Risikoverteilung im Auftragsverhältnis - das Beispiel der «clawback claims» im Fall Madoff
S. 95
Verbindlichkeit oder Schaden – freiwillig oder unfreiwillig. Das Bundesgericht schnitt diese Frage im Zusammenhang mit dem Madoff-Betrugsfall an. Es hatte zu entscheiden, ob konkursrechtliche Rückforderungsansprüche von US-amerikanischen Konkursliquidatoren (sog. clawback claims) als Schäden oder als Verbindlichkeiten zu qualifizieren sind. So ausserordentlich und singulär dieser Sachverhalt auch scheint, so grundlegend ist die dahinterliegende Abgrenzungsfrage von Art. 402 OR: Im Ergebnis entscheidet sich daran, welche Partei im Auftragsverhältnis für ein Risiko einzustehen hat. Vorliegender Beitrag zeigt auf, wie eine angemessene Risikoverteilung bei der Abgrenzung zwischen Verbindlichkeit und Schaden berücksichtigt werden kann.
Netflix & Co.: kartellrechtliche Zulässigkeit der Geoblocking-Praxis von Streamingdiensten
S. 109
«This content is not available in your country»: Streamingdienste wie Netflix und Amazon Prime begrenzen die Zugriffsmöglichkeiten auf ihre Angebotskataloge im EU-Binnenmarkt mittels Geoblocking. Dieser Beitrag untersucht, wie die damit realisierten, Lizenzvertragsklausel-basierten Gebietsabschottungen entlang nationaler Grenzen wettbewerbsrechtlich zu beurteilen sind. Dabei wird insbesondere die Schnittstelle zwischen kartell- und urheberrechtlichen Regelungen beleuchtet, die gesetzliche Situation in der Schweiz rechtsvergleichend aufgezeigt und mit dem aktuellen Stand der politischen Diskussion ergänzt.
Im Fokus
Observation von Versicherten - Der Gesetzgeber auf Abwegen
S. 120
Gemäss einem Entscheid des EGMR ist die Überwachung von Versicherten ein schwerer Eingriff in die Privatsphäre und bedarf einer ausdrücklichen gesetzlichen Grundlage, die u. a. Vorhersehbarkeit und Verhältnismässigkeit der Überwachung regelt. Der Gesetzgeber müsste also ein Gesetz schaffen, mit dem der Überwachung klare Grenzen gesetzt und so die Grundrechte geschützt werden. Mit dem neuen Observationsartikel hat das Parlament genau das Gegenteil gemacht. Die Sozialversicherer erhalten weitreichende Kompetenzen zur Anordnung und Durchführung von Überwachungen ohne adäquate rechtsstaatliche Schranken.