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Aus der Zeitschriftrecht 3/2020 | S. 186–195Es folgt Seite №186

Zur Wahrnehmung berechtigter Interessen im Strafrecht

Seit Langem anerkennt das BGer den aussergesetzlichen Rechtfertigungsgrund der Wahrnehmung berechtigter Interessen im Strafrecht; seine Voraussetzungen und Tragweite sind allerdings noch nicht eindeutig geklärt. Gleichzeitig sind gesetzgeberische Bemühungen im Gang, den Rechtfertigungsgrund im Strafgesetzbuch zu kodifizieren. Der vorliegende Beitrag versucht, die Rechtsfigur der Wahrnehmung berechtigter Interessen anhand von Rechtsprechung und Lehre zu konkretisieren.

I. Einleitung

Am 15. März 2012 reichte Filippo Leutenegger in seiner Eigenschaft als Nationalrat die parlamentarische Initiative «Wahrung höherer, berechtigter Interessen als Rechtfertigungsgrund (Whistleblowing)» ein.1 Die Vorprüfung hat diese Initiative bestanden; ihre ausführliche Behandlung im Nationalrat steht noch bevor.2 Die Initiative bezweckt die strafgesetzliche Regelung des bislang nur gewohnheitsrechtlich anerkannten3 Rechtfertigungsgrundes der Wahrnehmung berechtigter Interessen (auch Wahrung berechtigter Interessen genannt4), damit Personen, die Missstände an ihrem Arbeitsplatz publik machen (sog. Whistleblower oder Hinweisgeber5), unter gewissen Voraussetzungen keine Strafe wegen Geheimnisdelikten gewärtigen müssen.

Anlass für die Initiative bildet das Urteil des BGer 6B_305/2011 vom 12. Dezember 2011, in dem das BGer die Verurteilung von zwei ehemaligen Mitarbeiterinnen des…

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